Inspiriert durch einen Artikel von Guido Bosbach auf LinkedIn mit dem Titel „Hört auf, immer über Kultur zu reden!“ und einen energischen Kommentar von Sabine Kluge habe ich mir die Frage gestellt, wieso wir Kultur gleichermaßen oft wie auch nachhaltig erfolglos „beackern“, ob dies überhaupt Sinn macht und welche weiteren Stellhebel den Erfolg von Unternehmen beeinflussen. Für mich läuft Erfolg im Kern auf 6 einfache (und gerade deshalb so schwer zu beantwortende) Fragen hinaus – und 3 praktische Vorschläge, mit denen jeder gleich morgen starten kann…
Es ist paradox! Die Kultur ist – obwohl häufig in Form von Werten oder Leitsätzen niedergeschrieben – oft nur schwer greifbar. Sie wabert als nebulöses Werte-Ungetüm durch das Unternehmen und ist doch zugleich so unmittelbar greifbar für jeden einzelnen Mitarbeiter. Wir erleben sie täglich schon beim Betreten des Gebäudes – oder sogar im Home Office (falls die Kultur dies zulässt ;-)). Die Kultur ist der oberste Personaler des Unternehmens: Sie ist ein Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb um die besten Talente und sorgt für Bindung der Mitarbeiter – oder eben gerade nicht, wenn die definierten Werte im Alltag mit Füßen getreten werden. Der Abgleich von aufgeschriebenen Leitsätzen und gelebten Werten findet täglich bei jedem Mitarbeiter statt – ob bewusst oder unbewusst. Kultur drückt sich daher aus im Verhalten, das die Organisation nicht nur wünscht, sondern vor allem langfristig zulässt.
Kultur ist gleichermaßen nebulös wie konkret – ihre Symbole offenbaren das Mindset der Organisation
In komplexen Zeiten, in denen Wertschöpfung nicht mehr durch einzelne Mitarbeiter, sondern nur noch im Netzwerk stattfindet, wird die Kultur damit zum entscheidenden Werttreiber. Die tatsächlich gelebte Kultur ist Ausdruck des Mindsets der Organisation – und Haltung beeinflusst bekanntlich Verhalten. Die Kultur bestimmt, welches Verhalten belohnt wird. Wollen wir als Unternehmen wirklich agile Teams, netzwerkartige Strukturen, flache Hierarchien und Ergebnisse, die im Prozess geteilt werden noch bevor sie „fertig“ entwickelt sind? Durch die Kultur wird offenbar, ob diese Botschaften erst gemeint sind – oder nur Lippenbekenntnisse einer Management-Denke, die eher durch den New Work-Zeitgeist als ein tiefes Verständnis für Wertschöpfung in komplexen Systemen getrieben wird.
Kultur orientiert, beeinflusst und belohnt Verhalten. Dies ist gerade in Unternehmen, die im internationalen Kontext stark auf virtuelle Zusammenarbeit setzen, ein wichtiger Bestandteil eines nicht auf die Führungskraft reduzierten Leadership-Verständnisses. Leadership (nicht Management!) ist in der komplexen Welt zu wichtig, um den Führungskräften und HR überlassen zu werden! Durch die Kultur, die sie selbst mitgestalten, haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, ihre eigene Wirksamkeit und Zufriedenheit maßgeblich zu beeinflussen. Verbindlichkeit, Vertrauen und Wertschätzung sind keine einzufordernde Verpflichtung, sondern ein Co-Invest jedes einzelnen Mitarbeiters in die Zusammenarbeitskultur.
Kultur sorgt für Recruiting, Retention und Leadership – Sie ist der wertebasierte Kit, der die komplexe, vernetzte und virtuelle Organisation zusammenhält
Und dennoch ist die Kultur nur ein Aspekt unter vielen, wenn es um den nachhaltigen Erfolg von Unternehmen geht.
Der Akademiker in mir würde sagen: Als wichtiger Bestandteil des magischen Management-Dreiecks aus Strategie, Kultur und Organisation (also Strukturen und Prozessen) bildet sie die Grundlage eines auf nachhaltige Wertschöpfung ausgerichteten Geschäftsmodells. Dieses erklärt, wie vorhandene Ressourcen bestmöglich zur Erreichung der Geschäftsziele eingesetzt werden, um den Handlungsauftrag der Kunden (Mission) zu erfüllen und das angestrebte, langfristige Ziel (Vision) zu erreichen.
Praktisch formuliert erhöhen Unternehmen ihre Erfolgschancen, je schlüssiger sie die folgenden 6 Fragen beantworten:
- Warum gibt es uns langfristig?
- Was tun wir für unsere Kunden?
- Mit welchen Produkten wollen wir auf welchen Märkten agieren, um welche Kundenprobleme zu lösen?
- Woran messen wir unseren Erfolg?
- Wie nutzen wir unsere Ressourcen effektiv und effizient?
- Wie arbeiten wir wertschätzend und wertschöpfend zusammen?
Kultur ist damit zwar ein wichtiger Treiber im Fundament der unternehmerischen Wertschöpfung – ihr konkreter Einfluss bleibt jedoch ebenso unklar wie die Möglichkeit, sie aktiv und gezielt zu beeinflussen. Akademiker und Praktiker streiten in dieser Diskussion schon seit langem über die Vorherrschaft des Einflusses: Die Hypothesen „Structure follows Strategy“ (Alfred D. Chandler), „Structure forms Culture“ (unbekannt) und „Culture eats Strategy for Beakfast“ (Peter F. Drucker) heben sich sogar gegenseitig auf! Daher gilt die Gestaltung der Kultur auch als Königsdisziplin der Organisationsentwicklung – sie kann jedoch nicht das Ziel dieser sein, ist aber de facto das Ergebnis.
Kultur ist nicht das Ziel, aber trotzdem das Ergebnis von Change Leadership und Organisationsentwicklung
Und nun? Sollten wir versuchen, Einfluss zu nehmen auf die Kultur oder nicht? Lohnt es sich überhaupt, darüber nachzudenken? Am Ende gibt es keine richtige Antwort, sondern nur auf Erfahrungen basierende Meinungen. Meine persönliche Erfahrung nach 2 Jahren Corporate Life ist: Es macht keinen Sinn, eine große Organisation in Richtung einer zentral definierten Ziel-Kultur zu bewegen. Es ist jedoch extrem sinnvoll, gemeinsam getragene Werte in konkreten Projekten zur Grundlage der täglichen Zusammenarbeit zu machen.
Bei Continental haben wir die 4 Grundwerte Vertrauen, Verbundenheit, Freiheit und Gewinnermentalität. Und obwohl 86 Prozent der Mitarbeiter hinter diesen Werten stehen, werden sie doch überall etwas unterschiedlich gelebt – in jeder Division, in jedem Geschäftsbereich, an jedem Standort – und von jeder Führungskraft. Letztere sind sicherlich ein zentraler Schlüssel zur Umsetzung des Wertekanons eines Unternehmens.
„Change Leadership“ ist daher unser Ansatz, der die Weiterentwicklung der Kultur durch unmittelbares Leben unserer Werte in der Zusammenarbeit zu einem untrennbaren Bestandteil der Projektarbeit werden lässt. Ist das ein globaler Corporate Standard? Nein! Wird dies in jedem Projekt gleichermaßen getan? Nein! Und dennoch habe ich im Rahmen der Einführung des Office 365-Toolsets erlebt, wie sich durch eine „wertschätzende Werteorientierung“ eine zugleich wertschöpfende wie auch zufriedenstellende Zusammenarbeit erreichen lässt. Im Kern braucht es dafür nur 3 Dinge:
- Zeitnahe und transparente Information
- Wertschätzende und skalierbare Kommunikation auf Augenhöhe
- Ernst gemeinte Partizipation aller, die sich einbringen möchten
Change Leadership arbeitet in der Kultur an der Kultur – durch Information, Kommunikation & Partizipation
Hier soll es darum gehen, ob es Sinn macht, an der Kultur zu arbeiten. Beispiele, wie und mit welchen Formaten wir dies bei Continental tun, findet Ihr daher hier:
- Weniger „müssen“ müssen – mehr „wollen“ dürfen!
- Change heißt Lernen – 160.000 Kollegen auf dem Weg ins digitale Zeitalter
- Digital Coffee Break – Leading Change Interview
Kommen wir jedoch noch einmal zurück als Kultur des Ausdrucks von Haltung. Wo immer Menschen mit diesem Mindset an einem gemeinsamen Ziel arbeiten, findet Arbeit an der Kultur durch Arbeit in der Kultur statt. Hier lohnt es sich, anzusetzen – hört also auf, über Kultur zu reden und fangt an, sie im Alltag mit Leben zu füllen!
Veranstaltungshinweis: Am 25. Juni geben Harald Schirmer, Anja Lommatzsch und Stefanie Preisinger auf dem Change Festival in Köln einen Einblick, wie sich Netzwerke wertschätzend und werteorientiert aufbauen und gestalten lassen.
[…] dieser Zeit las ich zum Beispiel hier, dass Kultur kaum veränderbar und steuerbar ist. Das hatte ich bisher immer angenommen. Und ich […]
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Hmm, habe m. E. nicht geschrieben, dass Kultur kaum veränder- und steuerbar ist, dennoch aber, dass es unklar ist, zu welchem Grad und wie dies erfolgen kann.
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