Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche – insbesondere die Arbeitswelt und auch unser Verständnis davon, wir wir zukünftig gemeinsam arbeiten wollen. Heute Vormittag stellte Bundesministerin Andrea Nahles in einer per Livestream übertragenen Abschlusskonferenz das Ergebnis des Dialogprozesses „Arbeiten 4.0“ vor. Das Weißbuch steht ab sofort auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Download bereit.
Der Erarbeitung des Weißbuchs ging ein umfangreicher Dialogprozess voran, der unter anderem aus Bürgerdialogen, Gesprächen mit Unternehmen sowie diversen Workshops und Konferenzen mit ausgewählten Experten bestand. Auch eine viel diskutierte Studie der Unternehmensberatung nextpractice zu möglichen „Wertewelten Arbeiten 4.0“ war ein zentraler Schritt auf dem Weg zur Entwicklung eines Grünbuchs, das die Frage aufwarf, wie wir zukünftig arbeiten wollen. Dieser Zwischenbericht wurde nun zum Weißbuch weiterentwickelt. Über die angesprochene nextpractice-Studie hatte ich bereits in meinem Fazit zur Messe „Zukunft Personal“ berichtet.
„Wertewelten Arbeiten 4.0“ aus der Studie der Beratung nextpractice (Quelle: Weißbuch BMAS)
Arbeiten 4.0 bedeutet technische und soziale Innovationen vorausschauend zusammen zu denken
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Die Eröffnungsrede von Andrea Nahles habe ich in der folgenden Sketchnote zusammengefasst und möchte noch einmal auf die zentralen Aspekte der Rede und des Weißbuchs aus HR-Sicht eingehen. Diese Punkte stellen natürlich nur einen groben Überblick über die tatsächlichen Inhalte da, daher habe ich am Ende des Posts noch einmal ergänzende Artikel zum Weiterlesen zusammengestellt.
Meine Sketchnote der Eröffnungsrede von Bundesministerin Andrea Nahles
Arbeitswelt 4.0: Digitalisierung trifft auf Demografie
Als Ausgangspunkt für einen Wandel der Arbeitswelt werden insbesondere die Digitalisierung und Globalisierung sowie die demografische Entwicklung und der Wertewandel gesehen. Diese Megatrends führen zu zentralen Veränderungen und bringen Chancen und Risiken für die Arbeitswelt 4.0 mit sich, sie eröffnen bspw. die Möglichkeit für eine selbstbestimmtes sowie orts- und zeitunabhängiges Arbeiten – bergen jedoch zugleich die Gefahr einer „always on“-Kultur, in der eine permanente Erreichbarkeit erwartet wird. Jedoch kann es keine Standardlösung geben, betonte Nahles: „Wir kennen die Antwort auch noch nicht!“ Der Weg in die zukünftige Arbeitswelt liege jedoch in zusammen entwickelten Innovations- und Weiterbildungsstrategien sowie gemeinsamem Eexperimentieren und Lernen.
Arbeitsschutz 4.0: Kompromisse auf Augenhöhe
Durch den Einfluss dieser Trends ergeben sich zahlreiche Spannungsfelder in der neuen Arbeitswelt – Mensch und Technik spielen plötzlich auf neue Art und Weise zusammen. Dabei ist es laut Nahles entscheidend, den Wunsch der Beschäftigten nach Selbstbestimmung und Souveränität zu berücksichtigen und Menschen nicht gegeneinander auszuspielen. Zugleich lasse sich die „Arbeitswelt nicht konservieren“, sodass ein partnerschaftlicher Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Mitarbeitern auf Augenhöhe wichtig sei. Als zentrale Bausteine hierfür sieht Nahles ein Wahlarbeitszeitgesetz, das für 2 Jahre getestet werden soll, sowie die Existenz von Tarifverträgen und Betriebsräten. Mit Hilfe dieser Elemente soll eine sinnvolle Balance zwischen Arbeit, Familie und Freizeit unterstützt werden.
Wir brauchen eine Balance von Sicherheit und Flexibilität
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Industrie 4.0: Souveränität ist Eigenverantwortung
Die zentrale Herausforderung der Industrie 4.0 (meinen Vorschlag für eine Definition dieses Begriffs gibt es hier) liegt darin, dass die Technik die Arbeit zugleich erleichtern, aber auch als zusätzlicher Stress empfunden werden kann. Daher ist es wichtig, zuerst einmal genau die Situation der Beschäftigten zu verstehen sowie branchen- und unternehmensindividuelle Konzepte zu entwickeln, um dem immer stärkeren Strukturwandel der Arbeitswelt zu begegnen. Als weitere zentrale Ansatzpunkte sieht Nahles eine stärkere digitale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, die Reinvestition von durch die Digitalisierung erreichten Produktionsgewinnen sowie eine lebenslange Qualifizierung der Beschäftigten. Hierfür sei es jedoch essentiell, dass auch die Mitarbeiter eine hinreichende Bereitschaft zur persönlichen Weiterentwicklung mitbringen.
Das Ende der Arbeit ist ein Phantom – die Arbeit wird uns nicht ausgehen
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Sozialpolitik 4.0: Erwerbstätigenkonto statt bedingungslosem Grundeinkommen
Nahles plädierte gegen eine „Lust an der Apokalypse“: Mythen der Arbeitswelt wie „Die Roboter nehmen uns die Arbeit weg“ oder „Die Maschienen übernehmen die Kontrolle“ seien wenig hilfreich, um die Zukunft der Arbeit zu gestaltet. Wir dürften uns daher nicht von ihnen Angst machen lassen und stattdessen gemeinsam gesellschaftliche Handlungsspielräume auslooten. In einem bedingungsloses Grundeinkommen, wie es von vielen Wissenschaftlern, Politikern und Wirtschaftsvertretern gefordert wird, sieht Nahles jedoch „die Abkehr vom Teilhabeversprechen an der Arbeitswelt“. Sie plädierte stattdessen – ähnlich wie die französische Arbeitsministerin – für ein „persönliches Erwerbstätigenkonto“, das jeder Beschäftigte zum Eintritt ins Erwerbsleben erhalte. Mit diesem „Startguthaben“ ließen sich mögliche Erwerbsausfälle im späteren Berufsleben ausgleichen.
Wir schreiben selbst das Drehbuch für die Arbeitswelt 4.0
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Fazit: Beschäftigte auf die Reise in die „Arbeitswelt 4.0“ partnerschaftlich mitnehmen
Durch die Digitalisierung wird ein selbstbestimmtes sowie zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten ermöglicht. Hierfür benötigt es nicht nur einen gesellschaftlichen Konsens darüber, wie wir zuküntig gemeinsam arbeiten wollen, sondern auch die Bereitschaft der Beschäftigten, die Chancen des Strukturwandels aktiv und im Sinne der eigenen Arbeitssouveränität zu ergreifen. Die Unterschiedlichkeit der gewünschten Arbeitswelten zeigt anschaulich, dass der Schlüssel zu einer gemeinsamen Arbeitswelt 4.0 in der Individualität der Angebote liegt. Denn da immer noch – oder vielleicht auch gerade in der zukünftigen Arbeitswelt – der Mensch im Mittelpunkt steht, kann ein kollaboratives Zusammenspiel von Mensch und Maschine nur gelingen, wenn für beide die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Trotz der – insgesamt noch sehr vorsichtigen – Ansätze des Weißbuchs, finde ich es gut, dass hier ein aktiver Schritt zur (Mit-)Gestaltung der neuen Arbeitswelt 4.0 vorangetrieben wird. Mit Sicherheit laufen bereits viele parallele Aktivitäten – und das ist auch gut so! Denn die Notwendigkeit einer individuellen Ausgestaltung von #arbeitenviernull erfordert vielschichte Ansätze und Vorschläge zur Zukunft der Arbeit! Da die Reise demnach noch lange nicht zu Ende ist und auf Basis des vorgestellten Weißbuchs hoffentlich noch viele weitere Initiativen und Aktivitäten stattfinden, bin ich sehr gespannt darauf, wie die Zukunft der Arbeit aussehen wird – lasst uns diese gemeinsam gestalten! Ich freue mich auf Feedback und Anregungen!
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